Antidepressiva: Möglicherweise nicht alltagstauglich?
Mehr als 80% aller Patienten mit Depressionen in der Bevölkerung kommen für die klinische Erprobung von Antidepressiva gar nicht erst in Frage – doch bei welchen Patienten sind Wirkung und Nebenwirkungen der Medikamente dann verlässlich einschätzbar?
Diese Frage wurde kürzlich im Journal of Psychiatric Practise gestellt – An der University of Kansas School of Medicine in Wichita und der Southwestern Medical School in Dallas, USA, kam man zu einem ernüchternden Ergebnis.
In einer der größten und längsten Antidepressiva-Studie in den Vereinigten Staaten untersucht wurden dazu mehr als 4000 Patienten mit Depressionen untersucht und nahmen an klinischen Tests für Antidepressiva teil. Dabei wurden insbesondere die Ausschlusskriterien für die Teilnehmer stark beschränkt.
Mindestens fünf Patienten müssten normalerweise untersucht werden, um nur einen zu finden, der alle typischen Kriterien für eine Depression und zugleich für die gängigen klinischen Tests erfüllt. Nur die Ergebnisse von Patienten, deren Krankheitsbild „test-konform“ ist, entscheiden später über die Zulassung oder Nichtzulassung eines Medikamentes gegen Depressionen. Mit dem tatsächlichen Bild einer „Alltagsdepression“ haben die abgefragten Symptome oftmals jedoch nur wenig zu tun.
Mehr als 82% aller Probanden würden für die üblichen Medikamententests nicht ausgewählt. 14% hätte man bereits aufgrund ihres Alters – über 65 – nicht mehr mit einbezogen. Weitere 15% hätten nicht teilnehmen können, weil man ihre Depression unter gewöhnlichen Maßstäben als nicht schwer genug eingeordnet hätte.
Über 20% der möglichen Probanden wären wegen einer insgesamt instabilen medizinischen Situation ausgeschieden, 21% aller Frauen deswegen, weil sie während der Studie keine Verhütungsmittel benutzen.
Auch Probanden mit zusätzlichen medizinischen Problemen hätte man für gewöhnlich von der Teilnahme ausgeschlossen, um das Ergebnis für die in Frage kommende Medikation nicht zu verfälschen. In der praktischen Anwendung des Medikamentes später lassen sich dann jedoch genau die möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen an Durchschnittspatienten mit weiteren Erkrankungen in keiner Weise einschätzen.
Dies sind nur Beispiele – bis zu 90% aller depressiven Patienten kämen für gewöhnlich gar nicht erst in die engere Auswahl. Eine weitere Einschränkung ist die Teilnahmebereitschaft: Nicht jeder Depressive stellt sich für Medikamenten-Versuche zur Verfügung.
Die Wissenschaftler hoffen, ihre Fachkollegen mit ihren Ergebnissen für diese Umstände und die Konsequenzen daraus zu sensibilisieren. Meist ist auch die Vorbereitungszeit für die Antidepressiva-Tests viel zu kurz angesetzt, was die Auswahl wirklich „repräsentativer“ Probanden schwer bis unmöglich macht und die Ergebnisse weiter verfälschen kann. Weil viele Antidepressiva nicht unter Alltagsbedingungen, nicht bei Älteren und bei unterschiedlichsten zusätzlichen Krankheitsbildern erprobt werden, sind Aussagen über ihre tatsächliche Wirksamkeit nur eingeschränkt verlässlich. Das birgt im Einsatz nach der Zulassung sogar Gefahren.